Yuval Noah Harari: “Homo Deus”

In den erzählenden Passagen unterhaltsam/brillant – argumentationslogisch jedoch irritierend blass.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2021…

Yuval Noah Hararis Buch „Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen” basiert im Wesentlichen auf der Annahme, dass den Menschen vor allen anderen Lebewesen die Eigenschaft auszeichnet, in einer Welt der Intersubjektivität leben zu können. Der Inhalt des Buches lässt sich kurz umreißen:

Die kognitive Wendung vor circa 70 000 Jahren hat im Sapiens eine dritte Welt entstehen lassen, die Welt der Intersubjektivität, die größere Gruppen zu kooperieren erlaubt und zwar auf Basis gemeinsam aufrechterhaltender Fiktionen. Vor 12 000 Jahren läutete die Agrarwende das Zeitalter der Sesshaftigkeit ein, und mit zunehmender Wichtigkeit der Nutztiere für die Landwirtschaft wurde das animistische Zeitalter beendet und die Herrschaft des Menschen über die Tier- und Pflanzenwelt religiös auf verschiedene Weisen verarbeitet. Religion als kollektiv bindendes Narrativ sowie die Landwirtschaft und die Einführung von Schrift ermöglichten mächtige Siedlungen von Millionen von Menschen und gigantische Bauwerke werden seit 5000 Jahren auf Geheiß von Göttern erschaffen (Tempel, Pyramiden, Kathedralen, Chinesische Mauer). Die Einführung von heiligen Schriften sowie Geld führten zu abstrakteren Fiktionen und Formen von Vertrauen wie Kredit. Die Kapitalisierung und Verwissenschaftlichung der Welt beginnt. In diesem modernen Pakt der Wachstumsnotwendigkeit (Vertrauensvorschuss und -einübung) gewährte die humanistische Revolution vor 300 Jahren neuen Halt in der Innerlichkeit, dem Gemütszustand des Individuums. Wirkungsmächtig in der humanistischen Religion ist die Evolution, die nach und nach alle Felder des Lebens übernimmt und nach Perfektion strebt. Die Materialisierung der Fiktion besteht nun in der Überwindung des Humanismus selbst. Vom Homo Sapiens zum Homo Deus, der Glück, Göttlichkeit und Unsterblichkeit für sich in Anspruch nimmt und nur in der Virtualisierung, Kybernetisierung und Maschinisierung des Menschen möglich ist.

Es ist schade, dass Harari in entscheidenden Passagen unterlässt, seine Terminologie nachvollziehbar einzuführen. Die Sätze bleiben schlichtweg in der Luft hängen. Wer Hunderte Seiten von „Erklärungen“, „Beweisen“, „Geist“, von „Authentizität“ und „Sinn“, „Willensfreiheit“ und „Wünschen“, “Daten” und “Information” redet und lediglich hofft, andere wissen schon, was er meint, verlagert die Begriffsarbeit ins Beliebige und erschwert die Lektüre. Mit anderen Worten er fällt seiner eigenen Narration zum Opfer – er glaubt, seine Geschichte spricht für sich und erschwert die Kommunikation.

So lange Harari jedoch erzählt, aus dem Nähkästchen plaudert, stimuliert er zu Gedanken, Zusammenhängen und bricht eine Lanze für die Tier- und Pflanzenwelt. Seine argumentationslogischen Irrungen und Wirrungen werden schnell vergessen, sobald er Witze erzählt: „Ein Witz vermutet, dass eine typische Gruppe von Jägern und Sammlern in der Kalahari-Wüste aus 20 Jägern, 20 Sammlern und 50 Antropologen besteht.“ (p545)

Die Lektion lautet also vielleicht: Nicht alles so ernst nehmen, selbst wenn es um die Zukunft geht. Harari nimmt die Angst vor dem Denken. Das schadet nie – seine gedanklichen Luftschlösser werden jedoch nicht bei allen Lesenden konstruktiv Verwirrung stiften

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