Anna Katharina Fröhlich: „Die Yacht“

Die Yacht by Anna Katharina Fröhlich

Sommerfrische Unabhängigkeitserklärung in Sizilien. Eine Künstlerin auf inspirierenden Abwegen.

Der Mythos Italien geistert ständig in der deutschen Literatur herum, damals wie heute, von Johann Wolfgang Goethes Italienische Reise über Thomas Manns Der Tod in Venedig hin zu, bspw., eben Anna Katharina Fröhlichs Die Yacht. Die Lebensfreude und Lebenskunst Italiens stellt so etwas wie ein dauerhaftes, dem Unbewussten verschwistertes Sehnsuchtsziel dar, das idealisiert, dennoch als Utopie, Imaginationsräume öffnet:

Eingelegte Sardinen, Lakritzstangen, Käsereiben, Handsicheln, Töpfe und Berge von Slips lockten die Blicke. In die Rufe der Händler mischten sich Taubengurren und Hundegebell. Eine Unterwäscheverkäuferin in mit Goldschmetterlingen geschmückten Sandalen fächerte sich mit einer Zeitung etwas Luft zu [… Hier] machte sich an Markttagen durch Schreie, heftige Gesten, unwirsche Blicke und lautes Gelächter eine uralte Wildheit im Menschen Luft. Martha sah einmal eine monumentale Russin in zerrissenen Jeans, die mit der Stimme eines Stammeshäuptlings auf einen schmalen Mann einbrüllte, der kraftlos zwischen ihren Händen hing.

Martha Oberon, die wie der Elfenkönig aus William Shakespeares Ein Sommernachtstraum heißt, reist nach Italien, um ihrem drögen Universitätsalltag zu entfliehen, lernt einen Taugenichts und Tunichtgut namens Spinelli kennen, der sie auf die Insel Sizilien mitnimmt, wo ein älteres Ehepaar namens Tabarin residiert. Dort entwickelt sich dualistisches Wettrüsten zwischen dem geordneten Alltag der Tabarins mit festen Rhythmen und Riten und Regeln und dem künstlerisch-spontanen illustren Lebens von Spinellis Jugendliebe Leonora Moore, die zudem Martha unter ihre Fittiche nimmt, um sie in die Welt der Ölmalerei einzuführen.

Martha lernte, welche Wirkungen die Farben aufeinander haben, wenn sie nebeneinander angelegt werden, erfuhr, wie das Nass-in-Nass Mischen, wie das Abmischen von Weiß mit Pigmenten vor sich ging, wie man Karmin in Purpur übergehen ließ, Blau in Grün. Auf der Suche nach den richtigen Farbtönen für ein Motiv, reihten sich Kobalt, Indisch Rot, Smaragdgrün, Neapelgelb, Terra di Siena, Kadmiumgelb, Karmin, Krappbraun oder Sepia als Tupfproben nebeneinander. Mrs Moore lehrte, keinen Gramm Farbe mehr zu benutzten als notwendig. Und am Ende durfte nicht eine Spur von Weiß auf der Leinwand zu sehen sein.

Weiß, die Farbe der Unschuld, der Fügsamkeit, wird übertüncht, übermalt und neu besetzt. Martha findet eine aufregende Liebe, den Butler der Tabarins, bringt Unruhe ins Haus, durchschreitet die Riten und sagt dem Hausherr, dem gönnerhaften, reichen Milliardärserben und Mäzen seine Meinung ins Gesicht. Auf ornamental-windige, den Zauber schwerduftender italienischer Idylle evozierende Art und Weise wechselt Anna Katharina Fröhlich in Die Yacht Erzählgeschwindigkeiten, Tiefenperspektiven, Weitwinkel und Lupenblicke ab, um in eine Welt zu tauchen, die alles und jedes beschreitet und neu zu besetzen versteht:

Sie las den Bildern die Überzeugung der Malerin ab, dass diese Welt einen Sinn hat, dass dieser Sinn in der Anschauung liegt und dass es vollendeter Blödsinn sein könnte, sich einzubilden, dass es etwas Kunstvolleres und Traumähnlicheres als die Wirklichkeit gibt.

Als Komplement zu Martin Mosebachs Krass verstanden, durchschreitet Martha in Die Yacht mit großzügiger Geste den Autoritätsraum eines in sich zusammengesunkenen Tyrannen, überschreibt Kulturmythen und Erwartungshorizonte und inszeniert mit detailliert-adjektivischer Beschreibungstechnik einen Sommernachtstraum, der das Helle und Grelle eines symbolisch-unabhängig, frei geführten Leben feiert und sommerlich-ruhig mitempfinden lässt.

———————————
———————————

Details (zur Erinnerung auch für mich):

Inhalt: interessante Wendungen, nachvollziehbare Charaktere, überraschende Stellen, doch hier und da etwas gehetzt, kurz gehalten, teils zu wenig Introspektion, und am Ende überstürzt abgehandelt, was gegen die Dauer, das Märchenhafte sich vergeht. –> 4 Sterne

Form: Schöne, überraschende Worte, wenig Hilfsverben, richtige Präpositionen und gekonnte Wendungen, wenig Wiederholungen, einfallsreicher Satzbau, fließende, rhythmisch, stilsichere Erzählweise. Kurze und lange, sich dynamisch weiterentwickelnde Sätze. –> 5 Sterne

Komposition: Als Novelle konzipiert; sehr kurz, daher als Text nicht anspruchsvoll, dennoch gut gemünzte Doppelform mit Großvater und Leonora als Wiedergängerin, und der wieder aufgefundenen Jugendliebe, das Alt liebt Jung, zwischen Madame Tabarin, Balthasar, aber auch das von Monk und Leonora in Venedig. Dicht und überzeugend. Leider aufgesetzte Zitate, Verweise, nicht so recht passende ästhetische Reflexionen, die nicht zum Charakter der Erzählweise, dem Märchenhaften von Die Yacht passen. –> 4 Sterne

Inhalt: 4/5 Sterne (verträumtes Märchen, zu kurz)
Form: 5/5 Sterne (schwelgerisch-gleitende Sprache)
Komposition: 4/5 Sterne (erzählperspektivisch interessant, zu viele Zitate)
Leseerlebnis: 5/5 Sterne (literarischer Sommerurlaub)

Kommentar verfassen