Slata Roschal: „Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten“

Formalästhetisches Schweifen durch die Höhen und Tiefen einer sich suchenden Psyche mit Elan und Verve und Mut zum Scheitern vorgetragen.

In „Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten“ experimentiert Slata Roschal erneut mit Erzählweisen, um das Gegenwarts-Ich in seiner vollen Komplexität sprachlich einzuholen und in seiner emotionalen Überforderung abzubilden. Thematisch arbeitet sie sich an dem Thema Mutter-Sein ab:

Und #regrettingmotherhood zum Beispiel […] Ich lese ab und zu, google, registriere mich als Gast, aber wenn der Wunsch zu groß wird, etwas zu äußern, die Gedanken vor anderen auszusprechen, auszuschreiben, nehme ich mich wieder zusammen, denke, dass ich vielleicht doch irgendwie, es vielleicht doch schaffen kann, so zu tun, als wäre ich normal. Außerdem passt es nicht, bereue ich ja nichts, es gibt keine Hashtags für das, was ich sagen will.

Die Abwesenheit der Hashtags, die ihren Zustand angemessen beschreiben würden, treiben den Text voran, in welchem die Ich-Erzählerin alles auffährt, was ihr so einfällt: Satzzeichenlose Sätze, Briefe, Übersetzungen, grammatikalische Ungereimtheiten, Brüche, unvollständige Sätze, innere Monologe, einmontierte Zeugnisse von deutschen Auswanderern aus den 1920er Jahren. All dies läuft in einen teilweise gehetzten, radebrechenden, sich überstürzenden Monolog zusammen, hin zu einem imaginierten Du, nämlich den eines Auswanderers, der Briefe vor über hundert Jahren an eine möglicherweise Geliebte schreibt:

Ich weiß Mari daß Du eine gute Seele bist, ja manchmal oft zu gut. Vater würde nicht dagegen haben, denn Du bist ja eine gute Freundin zu ihm. L.M. [Liebe Mari] den Vater ich zu gleicher Zeit geschrieben wie Dir das letzte Mal, hat er vielleicht diesen Brief nicht erhalten oder er hat nicht Zeit zum Schreiben vor lauter Arbeit. Nun l.M. So will ich mein Schreiben schließen it der Hoffnung das nächste Mal was Besseres weißt schon wie ich meine […] Ich loveju
Fahrwell und Remember mie kandl.

Slata Roschals Text kreist um Fragen nach Privilegien, Stellen, Geld und Anerkennung. Die Ich-Erzählerin sucht Hilfe bei einer Therapeutin. Sie versucht ihre Beziehung zu ihrem Physiker-Freund Gernot zu stabilisieren, und vor allem beschäftigt sie sich mit der Reue und Nicht-Reue ein zweites Kind bekommen zu haben, mit ihrer Mutter, ihrer sterbenden Großmutter, und all den Pflichten, die das Kinderhaben und Kindsein mit sich bringen. Die Überforderung wird im Fluss des Textes so übermächtig, dass alles zusammenschießt und Flucht- und Selbstmordgedanken folgen:

Tatsächlich ist es anders, als es scheint, der Riesling Steillage Qualitätswein trocken hilft, das Ende hinauszuzögern, und es wird kein schönes Ende sein, das kann ich mit aller Bestimmtheit sagen, es wird ein ekliges Ende, gebrochene Nase, deformierter Schädel, und eine stotternde Rezeptionistin im Raucherbereich des Innenhofes.

Durch die Form, die abwechslungsreichen Perspektiven, durch das Brechen der Sprachstruktur und die mehr und mehr sich verdichtende imaginative Ebene des Briefeschreibens erhält „Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten“ einen souveränen, sich seiner selbst bewussten Ton, der kein Selbstmitleid erlaubt. Die Ich-Erzählerin wirkt stark, erscheint sich aber als schwach. Die Stärke liegt im formalen Mut, den Ordnungsgedanken selbst Einhalt zu gebieten. Hier besitzt Slata Roschals Text beinahe ein Alleinstellungsmerkmal in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (ein anderes Beispiel wäre noch Dinçer Güçyeter „Unser Deutschlandmärchen“), die schnell zwischen Wut und Jammern ausschlägt oder didaktisch wird, aber literarisch oft kein Gleichgewicht zu finden vermag (bspw. Anne Rabe „Die Möglichkeit von Glück“, Barbi Marković „Minihorror“, Necati Öziri „Vatermal“ Teresa Präauer „Kochen im falschen Jahrhundert“, Deniz Ohde „Ich stelle mich schlafend“).

Kritikpunkt wäre das fehlende narrative Gleichgewicht, das den Text vorantreiben würde. Wie üblich in avantgardistischen Schreibweisen muss die Ich-Erzählerin deshalb hier und da auf Obszönitäten zurückgreifen, meist erotischer Natur, die etwas Gewolltes besitzen. Hier befindet sie sich aber in allerbester Gesellschaft mit dem Surrealismus bspw. André Breton‘scher Provenienz.

Inhalt: 2/5 Sterne (kleinfamiliäre Schwierigkeiten)
Form: 5/5 Sterne (gebrochen-flüssig überzeugende Sprachgestalt)
Komposition: 3/5 Sterne (lose verknüpft, mit Briefmontagen)
Leseerlebnis: 5/5 Sterne (Mut spendende Verbalexplosionen)

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