Slavoj Zizek: “Sex und das verfehlte Absolute”

Die Gegenwart in Gedanken gefasst – Reflexionseinübung auf höchstem Niveau.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2021…

Ein 592 Seiten in sich verwinkeltes, sich wiederholendes, re-paraphrasierendes hypo- und parataxisches Ungetüm – Zumutung oder Befreiungsschlag, Großdenker oder Provokateur? Es geht um Beckett, um Lenin, um den Holocaust, um MeToo. Es geht um Freud, Lacan, immer wieder Hegel. Es geht um Badiou, den Kollaps der Wellenfunkton in der Quantenmechanik, um Kafka, Zupancic, um Butler und Kristeva, rund um den stets herauswabernden Kant und Schelling, das Unheimliche Platons, Trump, Zynismus und die ewige Wiederkehr von Geschlechter-Binärem, dem Symbolischen, Imaginären, dem Realen des Hollywood Kinos, über Cary Grant zu Tom Cruise, Hitchcock vor und zurück und independent Science-Fiction Filme, Neurologie, künstliche Intelligenz und dem Virtuellen am Sex, das objet a und das durchkreuzte Subjekt.

Der Preis seines Versuches, konstruktiv Verwirrung zu stiften, ist groß. Er unterminiert literarisch, journalistisch Versuche, politische konkrete Projekte durchzusetzen, zynisiert Trump als Wegbereiter eines größeren linken Emanzipationsprojekts, und dekonstruiert reformerisch eingestellten Diskursen die Sprache und Begrifflichkeiten, indem alles auf einen phallogozentristisches M+ zurückgeführt worden ist.

Wer ihn aber in die Hand nimmt, um den Geist aufzulockern, als Geisteslockerungsübung und -entkrampfung, also nicht argumentativ, diskursiv, sondern poetisch liest, bekommt viel geboten – nur eben keine Antworten.

Dirk Rossmann: “Der neunte Arm des Oktopus”

Frechheit und Selbstbeweihräucherung.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2021…

Das Buch liest sich schnell. Es ist in Episodenformat geschrieben. Viele halbe Seiten geben einem das wonnige Gefühl, man lese in beinahe Lichtgeschwindigkeit. Einfach Sätze, einfache Ideen. Plumpe ideologische Steilvorlage, dass die Eliten dieser Welt am besten wissen, was zu tun ist, und die sadistische Idee, dass die G3 (USA, China und Russland) anderen Kontinenten/Nationen vorschreiben (Afrika/Indien), wie viele Nachkommen sie zeugen dürfen, ohne sich selbst einzuschließen. Wer ein Sachbuch als Roman verpackt lesen, wie Schröder und Putin die Welt retten, darf herzlich zugreifen. Alle Macht- und Gewalt- und Sexphantasien werden bedient. Schön ist es nicht.

Susanna Clarke: “Piranesi”

Ein moderner Kafka zwischen allen Stühlen.

Die Strahlen der untergehenden Sonne schienen durch die Fenster, fielen auf die Oberfläche der Fluten und flossen wie Wellen aus goldenem Licht über die Decke der Treppe und die Gesichter der Statuen. Als die Nacht anbrach, lauschte ich den Liedern, die Der Mond und Die Sterne sangen, und ich sang mit. — Die Welt fühlte sich vollständig und intakt an, und ich, ihr Kind, füge mich nahtlos in sie ein. Nirgendwo gibt es irgendeinen Einschnitt, an dem ich eine Erinnerung nicht greifen kann, ein Verständnis sich mir entzieht. Der einzige Teil meines Daseins, in dem ich einen Bruch empfinde, ist dieses letzte Gespräch mit dem Anderen.“

“Piranesi” – Susanna Clarke

„Piranesi“ ist seltsam, und im seltsamen Dickicht sein eigenes Rätsel. Wie die Rätsel der Ägypter auch Rätsel für die Ägypter selbst waren, so verstrickt sich das Lesen in die eigene Hilflosigkeit. Die öden Gänge, das fahle Licht, die dahinplätschernden Tage des Ich-Erzählers, der sein Ich nicht kennt, kennen kann, oder dem er zu entfliehen sucht, erzeugen einen unheimlichen naturalistischen Sprachbezug, der selbst noch in der Übersetzung das Gruseln lehrt: nämlich das der Sprachlosigkeit, wenn Sprache zerfällt, bruchstückhaft dahinschwindet, die Inkohärenz der Gedanken unaufhaltsam voranschreitet und Namen zu Begriffen, Begriffe Namen werden, die nur in den Augen eines Anderen an Konturen gewinnen, von Augenblick zu Augenblick aber zu schwinden drohen.

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