Simon Beckett: “Die Verlorenen”

Simon Beckett: "Die Verlorenen"

Vorhersehbarer Ramsch, nicht mal auf Hochglanz poliert.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2021…

Wer zu einem Thriller greift, erwartet keine literarischen Höheflüge. Poetische Sprachkunstwerke betiteln sich nicht selbst als Thriller, wiewohl ein William Faulkner und Georges Simenon Gegenbeispiele, vielleicht aber Ausnahmen darstellen. Simon Becketts „Die Verlorenen“ jedoch ist ungenießbar, und meines Erachtens nicht einmal ein „Thriller“. Von der ersten bis zur letzten Zeile lässt sich durch halbwegs aufmerksames Lesen beinah alles vorhersagen. Wenn vier Mal „eine rote Pudelmütze“ auf zwei Seiten gesagt wird, liegt ganz sicher die „rote Pudelmütze“ irgendwann im Schlamm und ein Kind ist tot.

Noch schlimmer als dieser Nichtstil, den Alexa von Amazon perfekt simulieren könnte, ist das hanebüchene Konstrukt von Plot. Wahrscheinlich gibt es die goldene Himbeere auch für Romane/Thriller. Gibt es diese, hat Simon Beckett die Himbeere aus Platin verdient, eine Platintrophäe für eine Lose-Fakt-Sammlung von Klischees und Trivialitäten, die zusammengewürfelt und -geklebt und auf den Buchmarkt geworfen wurde. Der ganze Plot von „Die Verlorenen“ lässt sich mit einer x-beliebigen männlichen Vorstadtfigur erzählen, denn keine Wendung hat etwas damit zu tun, dass der Protagonist Jonah ein Polizist, eine Ex-Ehemann, ein Vater ist, oder dass die Geschichte in London spielt. Ja, selbst der Plot ist beliebig, denn das, was erzählt wird, hätte man mit einer Bestechung, mit einer Korruptionsaffäre, mit einem Drogenhandel oder einem Ehezwist oder Eifersuchtsdrama motivieren können.

„Unter einem großen Buntglasfenster blieb er [Jonah] stehen. Eine verschrammte, durchsichtige Abdeckung schützte es vor den Randalen weniger frommer Gemeindemitglieder, und ohne dass die Sonne ihnen Leben einhauchte, wirkten die Farben stumpf und matt. Heilige und Engel mit feisten Gesichtern starrten dumpf in eine Welt hinaus, die ihnen fremd war. Ein Zustand, den Jonah kannte.“

Und Simon Beckett auch, wie man hinzufügen möchte. Die Beschreibungen, die Beckett meisterlich aus dem Ärmel zaubert, treiben nie die Handlung voran. Es ist beinahe eine Kunst, einen Text zu schreiben, in welchem jedes Detail austauschbar, jede Figur unwirklich, und jeder Handlungsfortschritt vorhersehbar und doch beliebig bleibt. Wiederholungen und Dopplungen sind an der Tagesordnung. Dem Autor fällt einfach nicht viel zu seinen Figuren ein, die weder fühlen, noch nachtragen, noch irgendetwas anderes symbolisieren als Schachfiguren in einer Welt des Schwarzweiß zu sein, in der alles irgendwie mit allem ständig in Verbindung steht und Glaubwürdigkeit keine Chance mehr hat. Ein hervorragendes Beispiel gibt die Beschreibung der Journalistin Corinne Daly.

„Für Beerdigungen war dieses Kleid ein bisschen zu schick, aber sie hatte geahnt, dass Jonah Colley dort auftauchen würde, und das Kleine Schwarze brachte ihre Beine wirklich verdammt gut zur Geltung.“

Nur eine Seite später steht:

„Sie nahm den Aufzug in die Tiefgarage. Normalerweise ging sie zu Fuß, aber die verdammten Pumps brachten sie um. Zwar brachten sie ihre Beine toll zur Geltung, aber der Preis dafür war hoch.“

Um dann ein paar Seiten später wie folgt beschrieben zu werden:

„Er [Jonah] ließ ihr den Vortritt. Sie ging ins Wohnzimmer, legte die Handtasche auf den Couchtisch, setzte sich aufs Sofa und ließ sich mit einem Seufzer gegen die Lehne sinken. So blieb sie sitzen, die langen Beine vor sich ausgestreckt, den Kopf nach hinten gelehnt. Jonah wurde sich plötzlich bewusst, wie attraktiv sie war.“

Ein furchtbar zu lesendes, kaum zu ertragendes, dahingezimmertes, lieblos geschriebenes Machwerk. Wer Fremdschämen, sexistische Klischees, Einfallslosigkeit, stumpfsinnige Dialoge und die Sprache von Google-Translator erleben möchte, der Instantnachrichten zum Thriller verklärt, greife zu. Dies war das erste und letzte Buch, das ich von Simon Beckett gelesen habe. Gegen Simon Beckett ist Sebastian Fitzek Meister seiner Klasse, der wenigstens nur schlecht erfindet, aber so schreiben kann, dass einem nicht die Haare zu Berge stehen.

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