Magdalena Saiger: „Was ihr nicht seht“

Was ihr nicht seht oder Die absolute Nutzlosigkeit des Mondes : Saiger,  Magdalena

Ein imaginärer Befreiungsschlag, der weniger narrativ, plottechnisch, als expressiv überzeugt. Kollage einer surrealistischen Fahrt ins Freie.

Magdalena Saigers Debütroman „Was ihr nicht seht oder Die absolute Nutzlosigkeit des Mondes“ reiht sich ein in die Gattung der freien Assoziationstexte, die in einer eher losen Verquickung von Handlungsabläufen Zeit und Raum für Reflexionen schaffen, um dort nach Selbstverständigung zu suchen. Er beginnt mit den folgenden, wegweisenden Worten:

Diesen Text wird nie jemand lesen.
Würdet ihr ihn lesen, ihr würdet euch wundern.
Wer kann schon damit rechnen, dass es das gibt: dass jemand aufbricht, sein Leben aufgibt, wie es doch recht glatt lief zuletzt. Und sucht sich einen Ort, der einem Nirgends nahekommt, sehr nahe, und baut dort unermüdlich, Tag und Nacht, an dem Kunstwerk, das nie jemand sehen wird – nicht weil sich niemand dafür interessieren würde, sondern weil es nie jemand sehen soll.

Die romantische Ironie, die hier dem eigenen Publikum das Werk verweigert, die Distanznahme schlechthin zum Kunst- und Kulturbetrieb liegt auf der Hand und wird in „Was ihr nicht seht” durch den namenlosen Ich-Erzähler repräsentiert, der kurzerhand von seinem sozialen Leben, seiner Person, seiner Rolle und Funktion Abschied nimmt, um in die Lausitz, in die Nähe eines Autobahnkreuzes zu ziehen, wo er ein für niemanden je sichtbares Werk zu bauen gedenkt. Hier erinnert der Plot, oder besser: die Szenerie an Thomas Bernhards Das Kalkwerk, ohne jedoch die Bernhardschen monomanischen Züge zu erhalten. In Stimmung und Ton an „Prana Extrem von Joshua Groß erinnernd bleibt der Protagonist nämlich zurückhaltend und besonnen:

Ich will einfach nur nicht gefunden werden.
Die Wut brauche ich nicht mehr. Auch bei dem Wort Milchbärtchen kommt nichts in Gang, ich könnte es streichen. Trotzdem kitzelt mich diese letzte Mitteilung an euch, nennt es, wenn ihr wollt, Nachricht von der Rückseite des Mondes:

Ein Aussteiger, Bildhauer in der Lebenskrise wie bei Max Frisch in „Stiller“; die Schweiz, das Dorf, das einfache Leben, die kulturpessimistischen Untertöne und Odysseus wie bei Thomas Hettche in „Sinkende Sterne“; die ornamental-lyrischen Eskapaden im Singsang des postapokalyptischen „Diese ganzen belanglosen Wunder“ von Leona Stahlmann; all dies vereint und doch für sich stehend im Sound von Joshua Groß bietet Magdalena Saiger viel auf wenig, vielleicht doch gar zu wenig Seiten.

Räume wie das Dunkel, das ein behagliches Feuer umrahmt. Die Aggregatzustände, alle, und Wärme und Kälte von Licht, in allen Graden, wimmelnde Schatten, Blendung und Dunst. Wie es das Scratching geben muss, einerseits, aber die eingenudelte Schubert-Platte auch, den Goldenen Schnitt und das schrille Missverhältnis.

Es fehlt in „Was ihr nicht seht” an charakterlogischer Entwicklung. Es häufen sich zu viele dadaistische Poème trouvés, die den Text strecken, ohne ihn zu verlängern. Es mangelt kurz an Literarizität als Fiktion und Fabulation, aber da der Text an all dies erinnert, es im Kleinen zelebriert, die Hoffnung auf Phantasie und Selbstbestimmung nährt und es auch in Wort und Sprache umsetzt, obgleich dennoch sehr verkopft und intellektualistisch-referenziell verspielt, bietet es viel und glänzt und scheint im literarisch doch oft nur allzu dunklen Jetzt.

Inhalt: 2/5 Sterne (keine Spannung)
Form: 4/5 Sterne (lyrisch-ornamental)
Komposition: 3/5 Sterne (surrealistisch-anspruchsvoll)
Leseerlebnis: 5/5 Sterne (reflektorisch-befreiend)

2 Gedanken zu „Magdalena Saiger: „Was ihr nicht seht““

    1. Ja, vielleicht liegt es mir von der sehr theoretischen Seite etwas mehr, ich fand auch, dass das Narrative zu kurz kommt, aber wenigstens besitzt es eine gewisse Intensität und keinen defensiven Unterton, wie viele Aussteigerromane. Bin auf deine Rezension gespannt. Viele Grüße!

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