Eugen Ruge: „Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna“

Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna

Eine im jovialen Ton verfasste Ohrensessellektüre für zwischendurch.

Ausführlicher, vielleicht begründeter auf kommunikativeslesen.com

Eugen Ruges neuester Roman „Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna“ sticht aus der Reihe der Neuerscheinungen deutlich heraus. Weder nimmt er Stellung zu den breitdiskutierten Themen der Gegenwart noch bemüht er ein autofiktionales Setting zur Traumabewältigung. Die digitale Welt spielt keine Rolle. Von E-Mails, SMS, von sozialen Medien keine Spur. Wie auch? Der Roman behandelt die letzten Monate vor dem Untergang Pompejis:

„Ungefähr neun, vielleicht auch zwölf Stunden nach Josses letzter Rede sackte die überschwer gewordene Wolke aus Asche und Feuer in sich zusammen und stürzte mit einer Geschwindigkeit eines Armbrustpfeils in das Tal, ergoss sich über die Stadt, überstieg Mauern, drückte Türen ein, strömte durch Ritzen und Fenster. Vielleicht hat Josse noch gespürt, wie seine Lungen verglühten.“

Josse oder Jowna oder Josephus lebt vor sich hin. Er leidet an der Armut seiner Familie. Er leidet an der Bedeutungslosigkeit seines familiären Hintergrundes. Er leidet an seinem ausbleibenden Erfolg bei den Frauen, und, während er so vor sich hin leidet, seine Mutter mit seiner maßlosen Faulheit enttäuscht, also das Leben eines richtiggehenden Nichtsnutz führt, wird seine Heimatstadt, Pompeji, von einem die halbe Stadt zerstörenden Erdbeben heimgesucht. Von Schule, Bildung, Struktur und Normalität befreit, beginnt für Josse eine Epoche paradiesischer Verwahrlosung, bis er zufällig einem Vortrag über Vulkanismus beiwohnt, der die kurz bevorstehende Apokalypse verkündet. Josse selbst beschließt die Versammlung mit der ersten seiner fünf im Roman aufgeführten Reden:

„Wenn man das hier ansieht, zusammenfassend, kann man wohl nur, als Außenstehender, eine Schlussfolgerung ziehen, und das wäre, dass uns, den … äh … somit Betroffenen, da der Berg sich kaum von der Stelle bewegen wird, wohl kaum etwas anderes übrig bleibt, als uns selbst von der Stelle zu bewegen.“

Wie nun dieser wenig rhetorisch begabte und völlig mittelose Faulenzer es dazu bringt, für das Amt des Stadtoberhauptes zu kandidieren, davon handelt Ruges klassisch erzählter Roman. Die Erzählinstanz bleibt im Anonymen. Sie geben die Schriften als Warnung heraus, auf dass spätere Generationen von den Fehlern der früheren lernen. Sie berichtet distanziert, lakonisch, souverän über die Ereignisse, ohne Mitleid, ohne Intensität oder irgendwie gearteter Verzweiflung. Sehr in der Art von Michel de Montaigne aus seinen „Essais“, voller Stoizismus, bleibt der Erzählstil Ruges anekdotisch, fast aphoristisch, antik-attisch heiter, als hätte ihm Diogenes von Sinope, der Philosoph in der Tonne, die Feder geführt:

Seit seinem Weggang vom Fenster des Meeres hatte er die Vulkantheorie attackiert und sich über Josses Gerede vom Feuergott lustig gemacht. Er war Materialist. Lieber glaubte er an das Ende der Welt, wie es Lukrez vor hundertfünfzig Jahren prophezeit hatte. Die mächtigen Mauern des Weltenrunds – hieß es so bei Lukrez? – erliegen dem Sturm und zerfallen in Schutt und Asche. Die kurze Zeit, die ihm noch verblieb, verbrachte er damit, jenen Lukrez’schen Satz vor sich hin zu sprechen, der immer sein Lieblingssatz gewesen war: Der Tod geht uns nichts an. Er starb, von Bimsstein bedeckt, sitzend.

Ungewöhnlich für die Gegenwartsliteratur schreibt Ruge lange Sätze mit vielen Adjektiven, vielen Wendungen und handverlesenen Verben. Flüssig und stets auf Unterhaltsamkeit bedacht erinnert „Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna“ an ähnlich geartete Romane Ingomar von Kieseritzkys wie „Die ungeheuerliche Ohrfeige“ oder Luciano De Crescenzo „Die Vorsokratiker“ oder „Bellavista und die Liebe“. Mit anderen Worten, es handelt sich um eine Ohrensessellektüre, die weder schmerzt noch belehrt, die einfach nur amüsieren und müßige Zeit vertreiben soll. Alles andere in diesen Roman hineinzuinterpretieren, wird dem bis aufs äußerste gesteigerten jovialen Ton und Schreibstil nicht gerecht.

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