Benjamin Labatut: „Maniac“

Maniac

Krachend, fesselnd, explosiv … aber knallhart, mit Wucht am Gegenstand vorbei geschrieben.

Würde ich nochmal ein Buch von Benjamin Labatut lesen? Ja, aber hoffentlich geht es um Jugendbanden, um Boxkämpfe, um wütende Jünglinge, die sich die Hörner abstoßen und der Vergeblichkeit ihres Tuns innewerden. Ich wünsche mir, es spielt in Kolumbien, in den Banlieus von Paris, im Kreuzberg eines verwüsteten Berlins wie Tim Staffels „Terrordrom“, aber nicht in Harvard, am MIT, in Cambridge oder Oxford und reflektiert nicht wutentbrannt über Theoretische Physik, Kybernetik und künstliche Intelligenz, sondern wo der höchste und beste Kick zu finden ist und von welchem Hochhaus es sich mit einem Hängegleiter oder Deltasegler am besten zu springen lohnt, um einen heftigen und langen Ausblick auf die Stadt zu genießen. Doch leider passiert nachgerade das Gegenteil in „Maniac“

[…] dabei verknüpfte er Konzepte aus den verschiedensten Bereichen, Vorstellungen, die er aus einer stetig anwachsenden Zahl von Büchern bezog und mit seiner schwammartigen Intelligenz gierig aufsog. Paul war in der Lage, unterschiedslos alles um sich herum zu absorbieren. Sein Verstand war ganz und gar durchlässig, vielleicht fehlte ihm eine entscheidende Membran, und so war es weniger ein Interesse an der Welt als vielmehr die Welt, die ihn mit ihren vielen Formen bestürmte.“

Vieles passt in dem Stil nicht zusammen, aber was vor allem stört, ist die fehlende inhaltliche Konsistenz, die das Leben Paul Ehrenfests mit dem von John von Neumann und Lee Sedol bzw. Demis Hassabi mehr als nur äußerlich verknüpft. Die über 350 Seiten des Buches bleiben insgesamt anekdotisch, besitzen weder eine Einheit in Raum und Zeit, noch eine konsequent durchgehaltene Erzählperspektive. Im Grunde dienen die Figuren nur als Sprachrohr, um zusammengebasteltes Wissen zu präsentieren, das leider nirgendwo im Buch auch nur im entferntesten in die Tiefe geht. Wie der Computer Maniac funktioniert, wieso Transistoren so wichtig gewesen sind, warum John Bardeen zweifacher Nobelpreisgewinner gewesen ist, wie das Shannon Theorem in die Computerentwicklung hineinspielt, und was es mit dem Turing-Test auf sich hat. Nichts lässt sich aus dem Text heraus verstehen …

„Denn die moderne Kunst lasse keine Gesetze gelten, keine Methode, keine Wahrheit, nur ein blindes, unaufhaltsames Branden, eine Woge des Wahnsinns, die vor nichts und niemandem haltmache und uns vorantreibe, und sei es bis ans Ende der Welt.“

Der Clou von Labatut besteht in einem Zwei-Schritt. Erst wird der Nimbus eines Genies aufgebaut, und dann wird der Nimbus zerstört. Im Falle von Ehrenfest durch die ach so undurchschaubare Unschärfe der Natur (in der vermeintlichen Heisenbergschen Formulierung der Quantenphysik); im Falle von John von Neumann durch die Unvollständigkeit der Mathematik (repräsentiert hier von Kurt Gödels Theoremen); und bei dem nahezu göttlichen Go-Spieler Lee Sedol die künstliche Intelligenz AlphaGo. Hier spielt nur Aufbau und Fall, Triumph und Niederlage eine Rolle – nicht das wie, wieso, weshalb und warum:

„[John von Neumann] saß hinter seinem Schreibtisch, mit bloßem Oberkörper. Auf seiner Haut glänzte der Schweiß, die stolze Wampe ragte hervor, während er unbeholfen Anstalten machte, sich die schwarzen Lederriemen der Tefillin um den Arm zu wickeln, eine weitere Gebetskapsel hielt sich in wackliger Balance über seiner mächtigen Stirn.“

Da, wo Fernanda Melchor berauscht, Atmosphären im schwül-gewaltbereiten Jugendsprech schafft, die Verzweiflung, die Wut, die Unfähigkeit, die Impulse zu kontrollieren beschreibt und bspw. in „Paradais“ erforscht, da bleibt Benjamin Labatut in „Maniac“ oberflächlich und matt, aber nur aufgrund seines ihm entgleitenden Gegenstandes. Das Buch wirkt mechanisch, zusammengeflickt und leider passagenweise von Fachartikeln und Aufsätze abgeschrieben, die nur noch durch Superlative, die „krassesten“, „außergewöhnlichsten“, aufgepeppt und abgeschmeckt worden sind.

Ja, ich werde mir ein weiteres Buch anschauen, vielleicht sogar lesen, aber nicht, wenn es über Gentechnologie, DNA, und Cyborgs handelt, oder gar um Zeitreisen, Satelliten und Dunkle Materie.  Dann lieber und immer wieder Douglas R. Hofstadters “Gödel, Escher, Bach: An Eternal Golden Braid.”

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