Bernhard Schlink: „Das späte Leben“

Das späte Leben von Bernhard Schlink

Von der Belanglosigkeit des Unvermeidlichen … ein ziemlich schwacher Trost voller Fragezeichen.

Schlink wählt sich gern die großen Themen: Die Vergangenheitsaufarbeitung Nazi-Deutschlands in „Der Vorleser“, der Rechtsradikalismus und die völkischen-identitären Gemeinschaften in Ostdeutschland in „Die Enkelin“, nun der Krebstod in „Das späte Leben“:

Der Arzt schüttelte den Kopf. »Wenn die Wirbelsäule betroffen ist …« Er strich das zerknüllte Papier glatt. »Herr Brehm, wir haben vor Jahren einmal über den Tod gesprochen, erinnern Sie sich?«

Martin Brehm, 76 Jahre alt, ist nicht der Typ, der sich an etwas erinnert. Er lebt so vor sich hin, ganz zufrieden, genießt es mit einer 34 Jahre jüngeren Frau zusammen zu sein und mit ihr einen sechsjährigen Sohn zu haben. Der Alltag als pensionierter Professor und Sohn eines Professors mit großem Schreibtisch erfüllt ihn, hier und da ein Artikel über Gerechtigkeit für eine Tagung reicht. Der Rest besteht aus häuslichen Vergnügungen, indes seine Frau Ulla ihre Karriere als bildende Künstlerin verfolgt:

Die zwölf Jahre seit der Hochzeit waren gute Jahre. Sie kauf‌ten ein kleines Haus mit Garten am Rand der Stadt. Ulla schloss das Studium ab, verlegte sich ganz aufs Malen, fand ein Atelier und eine Galerie, in der sie ausstellte und immer wieder aushalf, und bekam vor sechs Jahren David. Er lehrte bis siebzig an der Universität und schrieb danach weiter, wandte aber immer mehr Zeit an David und an den Garten und ans Kochen. Er nahm das Leben mit Ulla, dem Sohn und den verbliebenen Tätigkeiten als Geschenk, dem man nicht ins Maul schaut. Manchmal sehnte er sich nach einer liebevolleren, weicheren, wärmeren Ulla.

Konflikte gibt es nur am Rande. Der Tod gehört nicht dazu. Martin ignoriert ihn, sieht diesen eher als Anlass, um ein Zeitmanagementproblem zu lösen, und fährt kurzerhand mit seinem Sohn übers Wochenende weg, um zu wandern und eine Male-Bonding durchzuführen, das nur bedingt gelingt:

»Das hast du toll gemacht, David.« Er machte ein paar Fotos; David wollte nicht stolz vor dem Staudamm posieren, sondern stellte sich scheu daneben.

Martin denkt viel über David und Ulla nach, über das gemeinsame Leben nach, ohne in diesen mehr als nur ein Schattenfigurendasein einzuräumen wie sich selbst. Die Brehms bleiben unterkühlt. Hier und da rollt eine Träne, aber es kommt, wie es kommt, und Ulla findet sowieso noch andere Wege, sich zu amüsieren, indes Martin noch ein bisschen Familienhistorie betreibt, die er in Form eines Briefes an seinen Sohn verfasst:

Dann habe ich noch Großvaters Taschenuhr. Sie steckte in der Tasche seiner Weste und war mit einer silbernen Kette an einem Knopf‌loch festgemacht. Sie ist auch eine Stoppuhr, und als ich ein kleiner Junge war, zog mein Großvater sie unterwegs manchmal aus der Tasche, sagte: »Wie lange du wohl bis zur Schiffsanlege brauchst« oder zum Hochsitz oder zum Friedhof, und stoppte mich.

Brehm bedauert ein wenig, doch nicht intensiv, dass er seinen Sohn nicht aufwachsen sehen wird, auch interessiert es ihn, wie sich der Konflikt zwischen den USA und China entwickelt, welche Rolle Europa einnimmt, aber auch all dies nur am Rande. Sein Leben verlieft gut, und so plätschert es aus, versöhnlich, ohne Angst, ohne Bedauern, ohne Widerstand. In vielen Passagen des Textes scheint es, als wandle Martin Brehm bereits zu Lebzeiten als Geist zwischen den Lebendigen.

Das späte Leben“ erweist sich als ein Buch über ein zufriedenes Leben, über einen lebenssatten alten Mann mit einer viel jüngeren Frau, mit der er genügend Sex haben kann, um gedankenlos einschlafen zu können. Vieles erinnert deshalb an Michel Houellebecqs „Vernichten“, nur eben ganz ohne Dramatik, also eher an Martin Walsers „Das Traumbuch“, nur dieses Mal ohne Witz.

Das selbstzufriedene Geplänkel Schlinks besitzt leider kaum Berichtenswertes, weder Komik noch Tragik, weder Humor noch Spannung, weder Reflexion noch Kontemplation, weder Tiefgang noch Schaumschlägerei und erreicht so einen geradezu abstrusen Grad an stilsicherer Sprachlosigkeit, die nichts als Leere und Fragezeichen hinterlässt (von denen es im Text auch nur so wimmelt).

Ein Gedanke zu „Bernhard Schlink: „Das späte Leben““

  1. Merci für die Besprechung! Kenne das Buch (noch) nicht, die Vorleserin dafür. Hat Dich Deine Besprechung befriedigt? Du bist zweifellos sehr belesen, weisst auch gut zu formulieren, Dein Blog gefaellt mir sehr. Aber ist es nicht mühsam, so viele Bücher zu rezensieren?

    Zur Frage des Todes: Steht er uns allen bevor oder ist er bereits im Leben vorhanden? Mir sind Houellebecq, Broch (Der Tod des Vergil, ein harter Brocken), Goethe, u.a. bekannt, von Irwin D und Yalom kenne ich wenig.
    Steile These: der Tod ist alltaeglich! Nein, ich meine keine Massaker etc. Aber: sind unsere Zellen nicht unterschiedlich lebendig? Der Einzeiier, die Amöbe sind quasi unsterblich, je höher das Leben sie entwickelt, desto sterblicher wird es :-). Was ist mit unsern Gehirnzellen? Sterben sie nicht taeglich ab – ja, warum: weil wir DENKEN. Haben wir auch urlebendige Zellen? Dionysisches und apollinisches Prinzip werden hier deutlich. Und die Krebserkrankung: rührt sie vielleicht von zu viel an Lebendigkeit, von maechtigem Wuchern her? Gut, dass wir ein wenig Tod, aeh, Formkraft haben.

Kommentar verfassen