Haruki Murakami: „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“

Mühsam verkitteter Allegorie-Exzess, oder wie Sprache gegen sich selbst kämpft und das Erzählen dabei auf der Strecke bleibt. Seltsam nahe am Bedeutungsnirwana.  

Ob es an der Übersetzung liegt (mir wurde versichert, dass nicht), Stilist ist Haruki Murakami jedenfalls nicht. Auch in „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ hakelt und radebricht es von Seite zu Seite im Stolperschritt:

In diese diffusen Gedanken versunken, schritt ich durch die abendliche Dämmerung. Auf Höhe des Uhrturms warf ich gewohnheitsmäßig einen Blick auf die zeigerlose Uhr, die nicht die Zeit anzeigte, sondern deren Bedeutungslosigkeit veranschaulichte. Die Zeit ist nicht stehen geblieben, hat aber ihre Bedeutung verloren.

Absätze wie diese konzentriert gelesen, fallen in sich zusammen. Wie kann etwas, das fehlt, eine Bedeutungslosigkeit veranschaulichen? Und was hat das Stehenbleiben der Zeit mit ihrer Bedeutung zu tun? Bei der Lektüre „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ häufen sich solche Sätze, die entweder metonymisch Katachresen erzeugen oder letztlich tautologisch ineinander übergehen und die Erzählung auf der Stelle treten lassen:

War ich dieses wahrere Ich geworden? War es – dieses Ich, das ich nun war – mein wahres Ich? Aber wer konnte schon beurteilen, ob er sein wahres Ich war oder nicht? Wie sollte man eindeutig zwischen einem Subjekt und einem Objekt unterscheiden, die miteinander verschmolzen waren? Je mehr ich darüber nachdachte, desto weniger begriff ich.

Worum geht’s? Ein Ich-Erzähler verliebt sich in jungen Jahren. Das Mädchen verschwindet, bevor es aber verschwindet, imaginieren sie gemeinsam eine geheimnisvolle Stadt, in der sie gemeinsam leben und voneinander träumen könnten. Der Ich-Erzähler wächst auf, vergisst das Mädchen nie, und trifft fortan auf Repräsentanten seines jüngeren und älteren Ich. Es trifft auch auf Repräsentanten des jungen Mädchens, und all dies im Zusammenhang mit dem Leib-Seele-Problem, dem Unbewussten, dem Traum und der Frage, was ist ein Traum, was Wirklichkeit und eigentlich Fiktion?

Ich weiß nicht, wie viel davon wahr ist und wie viel Fiktion. Aber die Stadt gewährt mir diese Freuden und Gefühlsregungen.

Der Ich-Erzähler weiß sehr wenig. Er weiß nicht, wann er schläft, wann er träumt, was er fühlt, was er begehrt, was er sich wünscht. Er weiß nicht, Tod und Leben zu unterscheiden, Subjekt von Objekt zu trennen. Im Grunde lässt er sich treiben und will auch nichts anderes, als sich treiben zu lassen:

„»Sind Sie aus Tokio hierher in die Berge gezogen, um [die Liebe ihres Lebens] zu vergessen?«
Ich schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein, so einen romantischen Grund hatte ich nicht. Egal, wo man ist, in der Stadt oder auf dem Land, es ist immer das Gleiche. Ich schwimme einfach mit dem Strom.«“

Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ will niemandem ans Leder. Der Roman entzieht sich allen Fragen, allen Bedeutungsebenen. Friedlich, geruhsam, sanftmütig schleicht der Ich-Erzähler durch die Nächte, den Winter, während Schnee unter seinen Schuhen knirscht. Er wünscht sich eine andere Welt. Er wünscht sich Zauber, Mystik und Transzendenz, Einhörner, Gespenster und auch Blaubeermuffins. Leider findet das alles nicht zusammen.

Es besitzt Stellen, die komisch sind, wie Halldór Laxness‘ „Am Gletscher“, in denen ebenfalls die Transzendenz und das Leben nach dem Tod verhandelt werden. Es enthält etwas von Alfred Kubins Traumwelt „Die andere Seite“, in der das Unbewusste sich zeigt und wütet (martialisches Prokreation der Einhörner, bspw). Und es besitzt das Impressionistische von Joshua Groß‘ „Prana Extrem“, und das Dunkle, Wiederkehrende von Jon Fosses „Der andere Name“.

Im Grunde wirft Murakamis Sprache aber das weiße Handtuch. Er will nicht festgelegt werden, und niemanden festlegen. Er will einfach lauschen, spazieren gehen, vor sich hindümpeln und in Ruhe gelassen werden. „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ lädt zu einer leeren, fröhlichen, sinnlosen Fahrt ein – und das Erzählen, na ja, es ersetzt einfach die Stille, so dass es noch nicht einmal ärgerlich ist.

2 Gedanken zu „Haruki Murakami: „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer““

  1. Wie immer Danke für den Kommentar! Naja, einiges über Murakami und vor allem über die, die Murakami nicht mögen! Ich mag ihn sehr gerne lesen, habe weder “Die Stadt….” noch seine Kurzgeschichten, dafür aber 1Q84, Kafka on the Beach und vor allem “The Wind-Up-Bird Chronicles” mit Genuss gelesen. Klar zitiert er einiges, aber seine Schreibe gefaellt mir! Bin ich vielleicht für belangloses Dahinplaetschern?

    1. Das Dahinplätschern macht ja Sinn als Dauer … hat ja auch sehr viel mit der Lesesituation selbst zu tun. Morgen kommt meine längere Murakami-Besprechung, vielleicht wird dann klar, weshalb es mir schwerfiel, mich fallen zu lassen. Aber vielleicht liegt es auch am sehr fremden Japan-Metaphern-Stil. Ja, Murakami bleibt mir noch zu entdecken. Freut mich, dass es dir gelang!

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