George R.R. Martin: “Die Herren von Winterfell”

Die Herren von Winterfell

Unterhaltsamkeit: 4 Sterne. Pacing: 3 Sterne. Figurenensemble: 2 Sterne. Sprachvergnügen: 1 Stern. Ein holpriger Einstieg. Bis auf einige Stellen sehr fixiert auf Äußerlichkeiten.

G.R.R. Martins „Das Lied von Feuer und Eis“ springt in seiner Erzählform zwischen den Schauplätzen umher. Die Schnitte sind hart, und auch die Erzählzeit variiert stark. Weniger die Innerlichkeit der Figuren spielt eine Rolle, als deren dialogische Wechselwirkung und Kostümierung, so dass der Roman teilweise eher einem Drama oder Theaterstück oder Operatte entspricht. Die reflexive, sich weitende epische Möglichkeit des Romans wird nicht ausgespielt. Martin kommt schnell und hart zur Sache:

„Bei dieser verfluchten Hitze war die halbe Stadt wie im Fieber, und jetzt mit all diesen Besuchern … gestern Nacht gab es einen Tod durch Ertrinken, eine Massenschlägerei in einer Taverne, drei Messerstechereien, eine Vergewaltigung, zwei Brände, Räubereien ohne Ende und ein alkoholisiertes Pferderennen auf der Straße der Schwestern. In der Nacht davor wurde im Regenbogenteich der Großen Septe der Kopf einer Frau gefunden.“

Der eigentliche Plot besitzt Kriminalromancharakter. Eddard Stark fahndet nach dem Mörder der Rechten Hand des Königs, dem Ehemann der Schwester seiner Frau, Jon Arryn. Das Haus der Lennisters agiert gegen seine Versuche, Licht ins Dunkle zu bringen, während das Haus Targaryen sich bei dem Volk der Dothraki vorbereitet, den Thron zurückzuerobern. Das Haus Stark gerät zwischen alle Stühle. Rundum diesen Plot veranstaltet Martin Ritterturniere, Orgien, Bordellbesuche, Intrigen, ohne jedoch auf magische Ereignisse oder Monstren, Fabelfiguren zurückzugreifen. Es handelt sich (noch) um eine sehr realistische, obgleich sehr brutale Welt:

„Die Spitze von Ser Gregors Lanze war in seinem Hals gebrochen, und langsam pulste das Blut aus ihm hervor, schwächer und immer schwächer. Seine Rüstung war poliert und neu, und wie Feuer blitzte es an seinem ausgestreckten Arm auf, als die Sonne sich im Stahl brach. Dann verschwand die Sonne hinter einer Wolke, und das Feuer war erloschen. Sein Umhang war blau, von der Farbe des Himmels an einem klaren Sommertag, besetzt mit einer Borte aus Halbmonden, doch als sein Blut einsickerte, verdunkelte sich der Stoff, und die Monde wurden rot, einer nach dem anderen.“

Die Anschaulichkeit in jeder Szene ist gegeben. Alles steht klar vor Augen, nur nicht die völlig ergebende, völlig reflexionslos hingebende Akzeptanz der Figuren, in diesem Krieg aller gegen alle mitzuwirken. Hier hetzen die Figuren von einem Ort zum nächsten, stellen nichts in Frage, suchen keine innere Ruhe und versuchen sich nicht zu befreien. Diese holzschnittartige Erzählweise nimmt den Figuren jede Luft zum Atmen. Nur selten spannt die Erzählung weit ihre Schwingen auf, wie bei der Alten Nan:

„[Alte Nan] Stimme war ganz leise geworden, fast schon ein Flüstern, und Bran merkte, wie er sich vorbeugte, um sie verstehen zu können.
»Nun waren es die Zeiten, bevor die Andalen kamen, und lange bevor die Frauen aus den Städten der Rhoyne über die Meerenge flohen, und die hundert Königreiche jener Zeit waren die Königreiche der Ersten Menschen, die den Kindern des Waldes das Land genommen hatten. Doch hier und da lebten die Kinder noch immer im Wald, verborgen in ihren hölzernen Städten und den hohlen Hügeln, und die Gesichter der Bäume hielten Wacht. Als nun Kälte und Tod die Erde erfüllten, beschloss der letzte Held, die Kinder aufzusuchen, in der Hoffnung, dass ihre uralten Zauberkünste zurückgewinnen könnten, was die Armeen der Menschen verloren hatten.“

Was nämlich fehlt: Raumzeitliche Weite für die Figuren, ihr Gedächtnis, ihre eigene Konstitution, sich gegenüber der Gegenwart selbstbewusst zu verhalten. Der Erzähler hetzt wie der Wolf die Meute seine Figuren durch die kalte, üble Wintersnacht und gewährt ihnen weder Pause noch Rast.

Kommentar verfassen