Daniel Kehlmann: „Lichtspiel“

Lichtspiel

Etwas unausgegoren zuerst, im letzten Drittel entschieden und dicht erzählt, mit argen Schwächen in der Metaphorik und der biederen Dialogführung, dennoch als Phantomschmerz überzeugend.

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Daniel Kehlmann nimmt sich historisch verbürgte Szenerien und wandelt und füllt und lädt sie mit seinem magischen Realismus auf. Gemäß dieses Schreibvorhabens nimmt er sich in seinem neuesten Roman „Lichtspiel“ die letzten Lebensjahre des bekannten Regisseurs Georg Wilhelm Pabst an. Kehlmann nennt am Ende seines Buches den Grund seines Buches:

G.W. Pabsts Film ‚Der Fall Molander‘ wurde in den letzten Kriegsmonaten in Prag gedreht, das Material ist jedoch verschollen. Über die Umstände der Dreharbeiten ist nichts Konkretes bekannt.

Wie üblich mischt nun Kehlmann Phantasie mit Historie, d.h. die meisten seiner Figuren existieren jenseits seines Textes. Wie und ob sie aber auf die Weise agiert, gesprochen haben, wie Kehlmann sie darstellt, spielt nur hintergründig eine Rolle. Als Roman kann jede Szene, jeder Dialog, jedes Detail reinste Erfindung sein. Die Schreibweise selbst gibt klar zu erkennen, dass es sich nicht um einen historischen Roman handelt:

[Pabst] war so müde, ihm kam es vor, als ob der Asphalt kleine Wellen würfe; dann auch, als ob sie mit dem Kopf nach unten gingen und der Himmel ein unendlicher Abgrund wäre. Ein Militärboot tuckerte träge vorbei, es schien zu schweben, und er fragte sich, ob die grauschweren Wolken über der Stadt von Bränden herrührten.

Uneindeutigkeit, schwebende Erzählführung, wegsaugende Assoziationen und auseinanderlaufende Beschreibungen kennzeichnen den Stil von „Lichtspiel“, das wie ein Aquarell im Regen Schlieren zieht oder wie eine Windschutzscheibe, auf die der Regen prasselt, lediglich einen tropfenbeschwerten Blick auf die Landschaft, den Plot, gewährt. Die vielen Handlungsfäden finden nicht zueinander, werden aber trotzdem immer wieder aufgenommen. Zwar stehen im Zentrum der Handlung die Eheleute Pabst, Trude und Georg Wilhelm, aber um sie herum streunern eine Menge anderer, nicht zuletzt ihr Sohn Jakob, der überzeugter Nationalsozialist wird, ohne dass diese Wandlung vom sensiblen, zeichnenden Jugendlichen zum narben- und kriegsversehrten Museumsgehilfen oder die der anderen nachvollzogen wird.

«Ich habe viel gemalt. Aber dann …» Jakob hebt seine Hände. Seine entstellten, beschädigten Hände, seine schmerzenden Hände: Die Haut geschwärzt auf der Rechten, Klein- und Ringfinger lassen sich nicht mehr krümmen, auf der Linken fehlt die Daumenkuppe, der Zeigefinger ist immer gekrümmt und lässt sich nicht geradebiegen. Man kann ganz gut damit leben, es tut nur bei feuchtem Wetter weh.

Kehlmanns Erzählinstanz wechselt die Zeiten, die Figuren, die Erzählperspektiven nach Belieben. Konsistenz wird nicht angestrebt, eher ein Panorama, ein Brainstorming über das Thema von einem verschollenen Film, der möglicherweise, möglicherweise auch nicht unter verbrecherischen, brutalen Umständen gedreht worden ist. Diese freischwebende Kamera lehrt an manchen Stellen gelungen das Gruseln. An vielen anderen Stellen wirkt sie bemüht und unsicher, fast schüchtern und ängstlich. Angst durchzieht eine verhaspelte, gekürzte, sich nicht vertrauende, fast kindliche Sprache:

Er drehte vorsichtig den Kopf. Er lag in einem dunklen Raum mit fleckigen Tapeten. Ein schiefer Holztisch stand verloren, auf ihm brannte eine Kerze. Schatten tanzten an den Wänden. Das hier war nicht sein Schlafzimmer. Vor dem Fenster war es dunkel. Weder seine Kleider noch seine Schuhe waren zu sehen.

Kehlmanns Roman „Lichtspiel“ unterhält und wird im letzten Drittel spannend, sobald der Fokus alleine auf die Kunstfigur Pabst und seinen nie vollendeten Film „Der Fall Molander“ liegt. Eine Welt zerbirst und inmitten dieser Welt Kehlmanns dicklicher, schwankender, teigiger, infantiler Regisseur, der nicht will, was er will, nicht mit der Frau zusammenlebt, die er liebt, und nicht befürwortet, für was er offiziell einsteht und so einen innerlich gebrochenen Fürsprecher des eigenen Romans abgibt. Aber manchmal ist unterhaltsame Ratlosigkeit nicht das Schlechteste …

Ein Gedanke zu „Daniel Kehlmann: „Lichtspiel““

  1. Jetzt bin ich doch fast versucht in den neuen Kehlmann mal reinzulesen.
    Hab gerade bei Hauke Harder in eine rezension der Lichtspiele reingelesen.
    Ich mag diese Vermischung von realen Leben und Fiktion nicht so besonders.
    Und Kehlmann hat mir bisher immer wenig gesagt.
    Unterhaltsame Ratlosigkeit ist schön:)

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