Heike Geißler: „Die Woche“  

Die Woche: Roman

Ein Text der vollendeten Tristesse.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2022…

„Die Woche“ als Roman zu bezeichnen, ist bereits eine gewagte Deutung. Aus einem Text besteht das Buch sicherlich. Heike Geißler setzt sich mit der Leipziger Gegenwart auseinander, mit den Montagsdemonstrationen auf dem Augustusplatz, mit Mietenteignungen, der gefährdeten Gesundheit ihrer geborenen und ungeborenen Kinder, mit Baustellen, Protesten, mit Zitaten und Querverweisen, dem Tod und Ende der DDR. Eine Handlung besitzt der Text aber nicht. Es ist der ‚stream of consciousness‘ einer sich ihrer Besessenheit bewussten, selbstkritischen Nachrichtenleserin:

„Und ich werde ihm [meinem Mann] sagen, ein Nachruf auf mich könnte lauten: Ungeachtet der konkreten Situation, in der sie lebte, entschied sie sich dafür, in den Chor der zeittypischen, verfügbaren und folglich leicht abrufbaren Klagen einzustimmen. Sie war nicht einfallsreich im Erfinden neuer Klagen. Egal, wie sehr sie nachdachte und sich umschaute: Sie konnte keine neuen Beschwerden, Anmerkungen, Wünsche liefern. Oder nur sehr wenige.“

Geißlers Stil illustriert Hilflosigkeit von Anfang bis zum Ende. Er ist schlicht. Einfach. Die Sätze sind kurz, schnell, rasen wie Links und Hyperlinks, von Fakt zum Märchen, vom Märchen zum Ereignis, zurück zu Erinnerungen und Befürchtungen wie ein Fähnchen im Wind. Der Text ist atemlos, widersprüchlich, hingeschrieben. Er sagt dies, verneint das, bejaht es zugleich und relativiert die Bejahung sofort zu einem Vielleicht. Er hat nicht viel über die Proteste, die Probleme, die er umkreist, zu sagen: Das Ausweichen als Manifest einer Meinungsenthaltung. Am ehesten noch ähnelt die Problematik der vielen Montage einer Handlung. Die Woche hat schlicht zu viele Montage. Die Montage wiederholen sich.

„Wir rufen das Ordnungsamt an, niemand hebt ab. Das kennen wir schon. Wir sprechen auf Band: Ich möchte mich beschweren. Diese Woche erlebt nun den vierten Montag in Folge. Auf welcher Grundlage geschieht das? Bitte informieren Sie mich. Ich bin unter folgender Nummer erreichbar.“

Wen das „Wir“ bezeichnet, bleibt unklar, vielleicht die Protagonistin und ihre beste Freundin oder Lebensgefährtin, vielleicht den Tod, der mit ihnen zusammenwohnt, oder die beiden Söhne, oder die Riesen vor dem Fenster, gar das laute, störende Karussell oder das ungeborene Kind, das endlich geboren werden will. Von Zitaten zersprengt, übereignet sich die Sprache der Boden- und Sinnlosigkeit. Eine Atempause, eine Besinnung scheint nicht möglich, egal, ob die Reise kurz, für einen Nebensatz, nach Rom, Berlin, Paris, New York oder Bad Belzig geht. Die Zeit sitzt der Protagonistin, also der Sprecherin, denn Akteurin ist sie selbst erklärterweise nicht, im Nacken. Die Nachrichten hetzen die Meute vor sich her. Sie flieht, aber entkommt nicht und winkt ab.

„Wenn wir ganz langsam reden, kommt vielleicht ein Satz dabei heraus, den wir meinen. Von dem wir wissen, dass er zutrifft. Wir suchen diesen Satz, den wir meinen, aber erahnen nach diesem Tag voller Sekt, Schnaps und Todesdrohungen, die wir ausgesprochen, und Todeslisten, die wir erstellt haben, überhaupt nicht mehr, wie er lauten könnte.“

All dies lässt einen unbefriedigt zurück. Es gibt Passagen in „Die Woche“, die kurz aufleuchten, die kurz erzählerisch mitnehmen und befreiend wirken, aber sofort unterbrochen werden. Die Luft ist raus. Der Text ist eher eine Intervention, ein kurzes Abstandnehmen, ein Stop-Schild, eine Performance. Als Theaterstück, gesprochen, gehetzt, geschrien, beweint, vielleicht. Als Improvisation getanzt, als Idee auf die Wände gesprüht, gezeichnet, verdreht, verklausuliert, möglicherweise. Aber als Text ungereimt und haltlos:

„Der Subtext dazu: Wir wollen es gelingen lassen, dieses Gespräch, okay? Und diesen Tag, nicht wahr? Wir reden gegen die Bröseligkeit aller Dinge an – “

Der Text, der seinen eigenen Subtext unterläuft, redet nicht einmal mehr mit sich selbst und treibt die Brüchigkeit und Bröseligkeit der Dinge nur weiter voran. In wenigen Worten: Ein Text der vollendeten Tristesse. Dann lieber Elfriede Jelinek “Die Ausgesperrten” oder gleich Nathalie Sarrautes “sagen die Dummköpfe” oder Francoise Sagans “Bonjour Tristesse”.

3 Gedanken zu „Heike Geißler: „Die Woche“  “

  1. Lieber Alexander, ein Off-topic-Kommentar: Trotz meines Abos erscheinen deine Beiträge nicht in meinem Reader, auf jeden Fall nicht zeitnah, und auch, wenn ich ein paar Stunden später zurückscrolle (ich lese meist auf dem Handy), sind sie nicht da.
    Weißt du das – ich vermute, dass es anderen auch so geht? Weißt du vielleicht, ob es da irgendeine Abhilfe gibt? ?
    Trübe Morgenkaffeegrüße ?☁️☕??

    1. Liebe Christiane, Danke für den Tipp. Das hört sich nicht gut für meinen kleinen Blog an. Ich weiß nicht, was ich da falsch mache. Ich schaue mal nach, aber vielleicht lässt sich da was finden. Danke, dass du es trotzdem auf meine Beiträge schaffst. Das freut mich. Schöne Feierabendgrüße! Und auf mehr Sonne 🙂

      1. Was deinen Blog betrifft, habe ich die Benachrichtigung aktiv, wenn du was Neues rausbringst. Du bist nicht der Einzige mit diesem Problem, ich habe das oft mit Blogs, die nicht auf WP.com gehostet sind, aber die schiebt mir WordPress meist noch in den Reader. Hm.
        Abendgrüße zurück! ??????

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