Wolf Haas: „Eigentum“

Eigentum
Eigentum von Wolf Haas.

Mit viel Empathie, dennoch der Trauer und dem Schock mit Flapsigkeit ausgewichen. Freundlich, doch etwas feige und zu kurz.

Wolf Haas, bekannt vor allem für seine Brenner-Krimis, zuletzt „Müll“, befeuert in „Eigentum“ das aufblühende autofiktionale Genre. Im harten, schnellen Präsenz schreibt er nicht über, sondern gegen den Tod und das Sterben, hier, von dem Tod der Mutter seines Ich-Erzählers, die er im Altenheim besucht und zu diesem Anlass ihr Leben Revue passieren lässt:

Aber ich hab keine Zeit. Ich will das hinschreiben, solange sie noch lebt, danach möchte ich mich nicht mehr damit beschäftigen. Das heißt, ich hab keine Zeit, ich muss es schnell hinschreiben, womöglich lebt sie nur noch ein paar Tage (tatsächlich nur noch zwei), dann möchte ich diese verdammten Geschichten auch endlich begraben, was geht es mich an, dass ein Mensch, den ich nicht gekannt habe, sein kleines Lechn immer wieder gegen ein größeres Lechn getauscht hat.

Auf sehr wenig Seiten, 160 an der Zahl, hetzt der Ich-Erzähler zwischen Friedhof, seines eigenen, ehemaligen Zuhauses, zwischen Kirche, Hotel und Altenheim, um noch die letzten Stunden mit seiner Mutter zu verbringen. Die Mutter, die zuerst ein wenig wie viele Mütter der 1920er Generation wirkt, erhält auf den Seiten zunehmend störrischen und anarchischen Charakter, der gegen das Dorf, gegen die Menschen, überhaupt, also, wie sie sagt, gegen ‚la gente‘ gerichtet ist:

Die Leute, das war die unüberschaubare Masse aller Menschen, die meiner Mutter etwas angetan hatte. La gente. (Ich lernte gerade Spanisch aus Angst vor dem geistigen Verfall, der einen angesichts des Elternsterbens erfasst. La gente. Die Leute als teuflischer Massensingular, als vielköpfiges Ungeheuer, das gefiel mir. La gente wollte ein Rad. Aber bezahlt hat la gente nicht.)

Intensiv und mitreißend aufersteht diese Mutter in „Eigentum“ von den Toten, denn dass sie stirbt, steht bereits von der ersten Seite an fest. In Vorbereitung auf eine Poetologie-Vorlesung entwickelt der Ich-Erzähler also eine Möglichkeit, implizit, durch Literatur und in der Literatur, Lebendiges über den Tod hinaus lebendig zu halten. Hier seine Mutter:

Da hab ich nie gewusst, soll ich Zivil anziehen oder soll ich die Uniform anziehen. Uniform wär halt eine Hose gewesen, gell. Da hab ich eine Hose gehabt. Wir haben Skihosen gehabt. Und so blousonartige Janker. Halt so aus grauem Loden. Waren aber ganz fesch. Und so eine Kappe, so eine Schirmmütze, wie sie es heute haben. Ja und dann bin ich gegangen bis Hinterthal hinaus und durch Hinterthal durch und dann hinaus bis zum Thunhäusl, und da bin ich dann einmal auf der Bank gesessen, weil ich schon so müde war.

Eigentum“ in seiner Verve und Fröhlichkeit, in dem nicht-endenden Erinnerungs- und Vergegenwärtigungsversuch zählt viele literarische Momente sein eigen, wo die Figuren aus dem Schatten treten und lebendig werden. Der direkte Dialog, als Ansprache, geht als literarisches Mittel auf. Leider bleibt „Eigentum“ eine Fingerübung. Es ist schlicht zu kurz. Es wiederholt das Wenige zu oft, und es gibt der mehr und mehr sich herauskristallisierenden Marianne Haas zu wenig Raum, viel zu wenig im Vergleich zu dem, den sie durch die widerborstige Art, mit der sie gelebt hat, verdiente, als dass „Eigentum“ rundweg überzeugend und abgerundet wäre. Sie stirbt. Das war’s, und da hilft auch kein lockerer Spruch.

Es ist kein Buch gegen den Tod wie Elias Canettis gleichnamiges Fragment. Es ist auch keines über die Trauer wie „Unzertrennlich“ vom Ehepaar Yalom. Es ist aber auch keine süffisante Abkanzlung wie Christian Krachts „Eurotrash“ vom Altwerden der Mutter. Wolf Haas „Eigentum“ sitzt zwischen allen Stühlen und hinterlässt so, den vielleicht nicht schlechtesten Eindruck, einfach zu hastig geschrieben worden, und deshalb zu kurz zu sein.

Inhalt: 4/5 Sterne (Lebensgeschichte einer dickköpfigen Frau)
Form: 2/5 Sterne  (unterhaltsamer Erinnerungs-Poetry-Slam)
Komposition: 2/5 Sterne (Strudel der Trauer, rhythmischer Wechsel)
Leseerlebnis: 3/5 Sterne (zu kurz, zu unverbindlich)

Kommentar verfassen