Daniela Dröscher: „Lügen über meine Mutter“

Mutter … ein Verriss oder: eine Tochter tritt nach.

Ausführlicher und vielleicht begründeter:  https://kommunikativeslesen.com/2022/…

Bei manchen Gegenwartsliteraturen verwischen sich die Tradierungsformen. Früher ließ sich die gesprochene von der Schriftsprache klar unterscheiden. Heutzutage, im Zeitalter der Hörbücher, lesen sich manche Texte wie die unredigierten Transkriptionen eines mitgeschnittenen Gespräches unter Befreundeten. In „Lügen über meine Mutter“ spricht sich nun Daniela Dröscher ausgiebig über eine fettleibige Mutter aus:

„Mit dem Alter ist dieser offene Furor in ihr [der Mutter] erloschen. Nach und nach ist sie immer stiller geworden. Aber nicht weniger dramatisch. An die Stelle der Wutausbrüche rückten Posen der völligen Selbstaufgabe. Miniaturen der Traurigkeit. Wie sie vom Balkon aus sehnsüchtig in den Himmel blickt. Wie sie mit letzter Kraft einen Kuchen in den Ofen schiebt. Wie sie stoisch die Schmerzen erträgt, die jede Bewegung für sie bedeutet. Das Schlimmste aber war ihr Blick. Eine Einsamkeit, schwer und grau wie Blei, schimmerte darin.“

Der Text liest sich so unliterarisch, unstilisiert und undurchgeformt, dass sich die Frage nach der Authentizität des Erzählten gar nicht stellt. Wie in einem mündlichen Gespräch über die Familie wird die Vergangenheit aufgearbeitet. Ein sehr langer Monolog ergibt sich, der von Passagen mehr oder weniger leichtgewichtiger sozialkritischer Reflexionen unterbrochen wird. Diese Passagen werden im Rückblick erzählt und bewerten das Erzählte. Das Erzählte selbst wird aus der Sicht einer Tochter berichtet, die nicht viel von der Welt versteht, aber dennoch genug, um sich für die eigene, sich für das Wohlergehen der Tochter aufopfernde Mutter zu schämen:

„Wer in ein Becken hineinsprang, musste auch wieder hinaus. Mein Herz schlug laut. Mit einem Mal aber merkte ich, wie sich das Gefühl der Scham in eines der Wut verwandelte. Alle, alle starrten sie uns an. Das ganze verdammte Freibad badete seine Blicke an ihrem nassen Körper, als meine Mutter die kleine Metalltreppe hinaufkletterte. Der Blümchenrock klebte an ihrem Gesäß fest, und es nützte nichts, dass sie unentwegt daran zupfte, die Silhouette zeichnete sich deutlich unter dem nassen Stoff ab.“

Scham ist das Hauptthema des Berichtes. Der Vater schämt sich für die Beleibtheit der Mutter, die Tochter schämt sich für den Vater und lebt in ständiger Angst, dass die Familienbande unter dem Gewicht der Mutter zerbrechen. All dies wird in möglichst einfacher, durchweg kindlicher Sprache berichtet. Der Vater beleidigt die Mutter. Die Mutter schmollt, schlägt das Kind. Das Kind weint, sucht Zuflucht beim Vater, der sich aber mehr für seine Karriere und den sozialen Aufstieg interessiert als für die eigene Familie. Das Leben der Familienmitglieder steht einfach unter keinem guten Stern. Dafür sorgen alle zusammen.

„Die Mission, die meinen Vater zum Nachdenken hätte zwingen sollen, war gescheitert. Das wusste ich in dem Moment, in dem nicht Tante Lu allein hineinkam, als sie öffnete, sondern mein Vater sich an ihr vorbeidrängte. Wütend starrte er meine Mutter an, die unwillkürlich einen Schritt zurückwich. Dann sah er das Chaos, das sich überall in der Wohnung ausgebreitet hatte. Wäscheberge, Essensreste, ein voller Windeleimer, Staubmäuse in allen Ecken. Fassungslos stand er vor den Trümmern dessen, was einmal sein Zuhause gewesen war. Und nun traten auch seine Eltern und Tante Lu hinzu. Alle schwiegen.“

Dröscher schafft es jedoch nicht, ihren Figuren Plausibilität einzuhauchen. Holzschnittartig repräsentieren diese gängige Klischees, die im Grunde keine Erwähnung mehr wert sind: Der herrische, alles besser wissende kleine Mann, die alles tuende, akzeptierende mütterliche Frau und die ängstliche, alles ertragene Tochter, die sich von beiden Elternteilen gleichermaßen betrogen fühlt. In keiner Passage bekommt der Text eine Eigendynamik. Am Ende bleibt nichts als der Eindruck zurück, dass „Lügen über meine Mutter“ unfertig auf den Markt geworfen wurde. Ungewöhnlich viele Grammatikfehler und Typos lassen sich finden, so einem der Sinn danach steht. Aus „Manuela“ wird auch schon mal „Manuel“, und die Unterscheidung zwischen Genitiv und Dativ spielt auch keine so große Rolle mehr. Was als Tatsachenbericht und Zeugenaussage vor einem Familiengericht durchaus überzeugen könnte, muss es als Roman noch lange nicht. Konsequenterweise bleiben die Protagonisten wie das Publikum am Ende gleichermaßen mit leeren Händen zurück – das Verhängnis blieb ein Verhängnis, weil es beizeiten nicht durchschaut worden ist.

2 Gedanken zu „Daniela Dröscher: „Lügen über meine Mutter““

  1. Mir stand gar nicht der Sinn nach “Fehler finden”, aber es waren so viele, dass ich einfach nicht mehr darüber hinweglesen konnte. Ich empfinde es als Zumutung, wenn ein Buch, von dem der Verlag sich hohe Verkaufszahlen verspricht, so schlampig lektoriert wird. Mein diesbezüglicher Brief an das Lektorat von KiWi wurde noch nicht einmal beantwortet – so wichtig ist die Leserin.

    1. Ja, ich lese auch nicht auf Fehler – warum auch, aber die Menge stach schon beängstigend in die Augen. Dass der Verlag keine Zeit findet, einer Leserin zu antworten, wundert mich nicht. Die Verlage erzeugen Bücher “on demand” und auf den allein antworten sie. Das Buch hätte viel besser sein können, aber ich denke, es ist sehr schnell zu Ende geschrieben worden. Ich empfehle als Helga Schuberts “Vom Aufstehen” als Mutter-Tochter-Geschichte. Das Buch hallt immer noch in mir nach. Viele Grüße.

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