Johanna Adorján: “Ciao”

Johanna Adorján: "Ciao"

Selbstironie und Verblendung im Zeitalter des Internets. Leichte, aktuelle Kost, fröhlich serviert.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2021…

Der Roman „Ciao“ von Johanna Adorján wandelt auf Messers Schneide zwischen Kulturkritik, politischen Aktivismus, zwischen Journalismus und Literatur, zwischen virtueller und manifester Realität, und dabei scheint er mir nur eines sein zu wollen: Unterhaltung, eine gute Zeit, ein fröhliches Geplänkel, eine vergnügliche Lektüre bieten zu möchten, und dies gelingt ihm meines Erachtens ganz formidabel.

Es geht um Henriette und Hans Benedek. Sie, eine ehemalige Dichterin, er, ein Kulturkritiker in der Berliner Zeitung „Die Zeitung“, und es geht um Xandia Lochner, eine Social-Media-Aktivistin und um die Macht der sozialen Medien. Xandia mag die Gedichte von Henriette und bittet deshalb um ein Treffen. Das Treffen verläuft schräg, und sowohl Henriette wie Xandia verlieren das Interesse aneinander. Hans dagegen wittert eine Chance, hier beginnt der zweite Teil des Romans, sein Image aufzupolieren, und plant eine Porträtserie rund um die Internetprominente „Xandia“. Ab diesem Moment jedoch geht wirklich alles für ihn schief.

Statt jedoch die ProtagonistInnen auflaufen zu lassen, diese oder jene Seite zu diffamieren, gelingt dem Roman von Adorján das Kunststück mit Schwung, Selbsthumor, mit Augenzwinkern über ernste Themen zu räsonieren, ohne plakativ, zynisch, politisch zu werden. In erster Linie handelt es sich um eine Charakterstudie, um das Stolpern, Irren und Wirren zwischen allen Stühlen, um das Bemühen, Blamieren, Akzeptieren des Veraltetseins, um Orientierungsversuche eines Planlosen ohne Aggressivität oder kommunikative Gewalt.

„Er [Hans] hoffte, dass es noch nicht schmierig rüberkam, wenn er darauf vorschlug, sich zu duzen. Nie fühlte er sich älter als in den Momenten, in denen eine Anfang Zwanzigjährige im Redaktionsflur zu ihm sagte: »Können Sie mir mit dem Drucker helfen, Herr Benedek, da ist irgendwie Papierstau.«“

Im Gegensatz zu Henriette kann Hans sein Älterwerden nicht akzeptieren und seine Traumata auch nicht überwinden. Statt diese Schwächen jedoch gegen ihn auszuspielen, was ein Leichtes gewesen wäre, entscheidet sich Adorján für Humor, und was herauskommt, ist ein wunderbarer Slapstick durch den Alltag eines Kulturredakteurs im Zeitalter von Twitter. An manchen Stellen ähnelt „Ciao“ sehr an Douglas Adams, an dessen feinen Humor, an die langsame, freundliche Art, auf die Welt zu blicken, beispielsweise in dem Buch „Die letzten ihrer Art“. In diesem Sinne mag „Ciao“ beinahe eine zoologische Studie ohne Ranküne, ohne Auftrag, oder Agenda sein. Mehr eine sehr geduldig beobachtete Beschreibung von Selbstverleugnung, Ignoranz, und Flucht auf allen Seiten des Kulturgeschehens.

„Der Weg auf den Heiligenberg stieg steil an, er [Hans] war völlig aus der Puste. Unbegreiflich, dass ihm als Kind nie aufgefallen war, wie dörflich es hier war, dachte er, eigentlich wie in den Bergen. An den Hängen wuchs Wein, auf dem Gehweg trat man alle paar Meter in matschige Pflaumen, er war an mehreren Gärten vorbeigekommen, in denen Hühner gehalten wurden.“

Wer fröhliche Literatur mag, eine sehr nette Urlaubslektüre, wer sich gerne zum Schmunzeln und Lachen hinreißen lässt, sich und alle ein wenig weniger ernstnehmen möchte, dem sei dieser wunderbare Roman ans Herz gelegt. Ich habe selten so oft und so gerne herzlich gelacht, ohne die Empathie und die Freundlichkeit für die herumstolpernden ProtagonistInnen zu verlieren. Die heitere Gelassenheit von Johanna Adorján erinnert an britischen Humor und Höflichkeit, vergleichbar mit „Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman“ von Laurence Sterne und „Echos Kammern“ von Iris Hanika.

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