Louise Glück: „Winterrezepte aus dem Kollektiv“

Rezension. Louise Glück: "Winterrezepte aus dem Kollektiv"

Vom Zauber der Kommunikation: Weder schreien noch schweigen, noch flüstern.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2022…

Louise Glücks „Winterrezepte aus dem Kollektiv handelt von Genesung, Rekonvaleszenz, Abschied und Verlangsamung. Als Stimmungsbild ergibt sich das Vergehen einer sanften Zeit inmitten eines asiatischen Steingartens. Die Sprache ist einfach. Die Worte schnörkellos. Das Druckbild übersichtlich, mehr Weiß, mehr Leerraum, entlastend, so dass die einzelnen Strophen wie ein Flüstern, Wispern im Wind wirken. Das lyrische Ich befindet sich in einer Art Wellness-Tempel mit Concierge, einer Institution, in der es Lehrer fürs Malen, fürs Nachempfinden, für Kalligraphie und Tipps für eine optimale Lebensführung gibt. Gespräche mit einem Abgereisten, mit der Schwester, über die Mutter binden das lyrische Ich zurück an eine Welt, die es so nicht mehr für es gibt.

„Eine Krankheit befiel mich,
deren Ursache man nie feststellte,
obwohl es zunehmend schwierig wurde,
Normalität vorzutäuschen,
Gesundheit oder Lebensfreude –
Mit der Zeit wollte ich nur noch mit denen zu tun haben, die wie ich waren“

Erschöpfung, Atemlosigkeit prägen die Gedichte. Die einzelnen Szenen bleiben nur angedeutet. Blitzlichter von Erfahrungen, Überblendungen, die ihre Zeitebenen wechseln, sich auf Vergangenes, Befürchtetes, gerade erst Erlebtes beziehen. Die Sprache schiebt sich nie in den Vordergrund. Glück spielt sich nicht mit Wortaufbauschen auf. Sie inszeniert sich nicht als Wortschmiedin und Hüterin alter oder schwer verständlicher Begriffsmassen oder avantgardistischer Neologismen. Sie bleibt im Alltagsgespräch, sucht verständige Ohren, freundliches Zuhören, mitteilsames Zusammensein. Zwischen den Zeilen atmet es, bleibt es leer. Sie will mehr sagen, als sie vermag, und deshalb sagt sie immer weniger, um mehr Platz für das zu schaffen, was sich so nicht einfach sagen lässt.

„Während sie [die Erinnerungen] beiseitefallen, wirst du vielleicht
die beneidenswerte Leere erlangen, in die
alle Dinge einfließen, wie das leere Gefäß im Daodejing –
Alles ist im Wandel, sagt er [der Concierge], und alles ist verbunden.
Auch kommt alles wieder, doch ist, was wiederkommt, nicht,
was ging –“

Abschied von einem Geliebten, die Krankheit der Schwester, das eigene Refugium in einem Tempelgarten, die Erinnerung an die Mutter, an das Sprechenlernen fügen sich ineinander und werben für einen zarteren Umgang mit den Dingen, den Menschen, mit der eigenen Ungeduld. Alles erinnert stark an Helga Schuberts „Vom Aufstehen“ und Friederike Mayröckers „da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete“. Das Wasser ist Gin. Der Schein trügt, aber nicht der Betrug steht im Vordergrund, sondern das Miteinander, das gekonnt dem Anschein Rechnung trägt, nämlich der Höflichkeit.

Auf dass die Worte nicht einschlafen, das freundliche Gespräch nicht verstummt, das Zwitschern und fröhliche Reden bleibt, hierfür plädiert Louises Glück Gedichtband. Gegen das Schweigen, aber auch gegen das Schreien schreibt sie an. Es muss nicht ein Flüstern sein. Es reicht ein Sagen und Zuhören der einfachen Art.

Wer Louise Glück mag, kann auch in die „Svendborger Gedichte“ von Bertolt Brecht hineinlesen, oder den frühen Wladimir Majakowskij, die ebenfalls die Alltagssprache zum Medium ihrer Lyrik erhoben haben, oder gleich zu Ingeborg Bachmann und Sarah Kirsch greifen.

2 Gedanken zu „Louise Glück: „Winterrezepte aus dem Kollektiv““

    1. Es ist ein sehr schönes Buch – das zum Verweilen einlädt. Ich habe es direkt zweimal gelesen, um die Puzzleteile sich zusammensetzen zu lassen. Die empathische Gelassenheit, die Glück versprachlicht, ist selbst eine Genesungskur für eine sprachlich teilweise sehr aufgeregte Zeit. Zwischen den Zeilen jedoch lauert wirklicher Schmerz, den auszuhalten, sie lyrisch einlädt. Ich benötigte ein Gegenstück zu der Ayn Rand-Lektüre 🙂

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