T.C. Boyle: „Blue Skies“

Blue Skies

Kein Thriller, keine Ironie, kein Humor, aber dafür langatmig.

T.C. Boyles neuer Roman „Blue Skies” besitzt zwar eine klare Botschaft, dass die Welt, der Planet vor den Menschen gerettet werden muss, aber er schlägt hierbei sehr gemischte Töne und unentschiedene Gangarten an. Sein Erzählstil schwankt zwischen zynisch, ironisch, satirisch und reißerisch und findet nirgendwo ein Gleichgewicht, aus dem heraus sich ungehindert ein Lesefluss in die Welt der Cullens ergibt:

Es war seltsam, sie im Haus zu haben, ihre Körper, ihre Ausstrahlung, ihre flüsternden Geräusche, ihre Psychen, die wie ferne Rechenmaschinchen vor sich hin arbeiteten und ihre eigenen Wirklichkeiten konstruierten, die schliefen und wachten in einem Raum, der Ottilie gehörte, einem eingeschränkten Raum, in dem es nicht mal mehr Dunphy gab.

Ottilie Cullen hat mit ihrem Mann Frank zwei Kinder, Cooper und Catherine, genannt Cat und einen Hund namens Dunphy. Cooper forscht über „Auswirkungen der Aussaat von Wolfsmilchgewächsen an kalifornischen Straßenrändern und Feldrainen auf die Eiablage des Monarchfalters“ in Kalifornien, in der Nähe seiner Eltern, und Cat hat es nach Florida verschlagen, wo sie mit Todd, einem Bacardi-Rum-Botschafter, eine Familie gründet und sich eine Karriere als Influencerin aufzubauen versucht. Als besonderen Twist, um ihren Account zu boostern, entscheidet sich Cat dafür, auf eine Python als Markenzeichen zu setzen und sich als „Schlangenlady“ einen Namen zu machen.

Sie war auf etwas gestoßen, auf eine Identität, die ihren Wert als Influencerin steigern würde. Das würde ihr Markenzeichen sein, ihr Entree: die Schlangenlady, die eine neue Linie von Tops oder Designer-T-Shirts oder was auch immer unters Volk brachte. Großartig. Toll. Ausgezeichnet. Doch nach einer Weile empfand sie ein leises Bedauern, weil niemand da war, mit dem sie diese Freude teilen konnte. Sie saß zu Hause herum, allein, ohne Todd oder sonst jemanden, und aus Bedauern wurde Unmut.“

In monotoner, souveräner Manier spult T.C. Boyle die Schicksalsschläge der Cullens herunter. Die Sprache bleibt aufs äußerste einfach, rhythmisch, protokollarisch. Er entwirft Szenen, Dialoge, Ereignisabfolgen in einer Dichte, die kaum Zeit für Beschreibungen, Empfindungen, tiefere Einsichten in die Welt der einzelnen Figuren lassen. Holzschnittartig bleibt es bei diesen Skizzen und von Ferne betrachteten Einzelpersönlichkeiten. Sie wirken isoliert, aus allen Kontexten und Zusammenhängen herausgerissen. Verzweifelt, trist, verquast wehren sich Ottilie, Cat und Cooper gegen des Lebens Unbill und die aufziehende Rache des Ökosystems und nehmen allerlei Schaden. Aufhalten lassen sie sich trotzdem nicht:

„Der Augenblick dehnte sich, bis er das ganze Universum umschloss. Sie tastete sich blindlings voran, alle fauligen Gerüche des Hauses waren freigesetzt, und wieder riss das Herz ihr ein Loch in die Brust. Sie schrie den Namen ihrer Tochter, bis ihr die Stimme versagte. Etwas fiel zu Boden und dann noch etwas und noch etwas … doch plötzlich erhob sich in der absoluten Finsternis ein dünnes Klagen, und da war er, wie ein Wunder: der Kater. Und ihre Tochter. Sie war hier, in Fleisch und Blut, ihre Haut fühlte sich kalt und nass an — Tahoe, Tahoe.“

Trotz einiger dichter Stellen, der Baumstamm, der sich als Alligator entpuppt, trotz vieler Einfälle, eine Schlange als Haustier zu beschreiben, und einigen eingestreuten Pikanterien, Amputationsfetisch, ergibt sich nur ein äußerst fragmentiertes Gesamtbild, dass die Mutterliebe die Welt der Menschen zusammenhält. In seiner epischen Breite zu verkürzt, in seinen Psychogrammen zu detaillos, in seinen Handlungsabfolgen zu wenig überraschend, liest sich der neue Roman wie ein Mischung aus Stephen King und Jonathan Franzen: von King aber nur die einfache Sprache, ohne die Spannung; von Franzen nur die Langatmigkeit, aber ohne die Sprach- und Beschreibungsfreude.  

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